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Zwei Tannen auf dem Bergfried

Bayerischer Odenwald

Beim „Josefsbauer“ in Preunschen diente einst ein Knecht, der allein in einer niedrigen Bodenkammer des strohbedachten Hauses schlief. Eines Nachts nun sah dieser vom Weg her ein Licht auf sein Fenster zukommen. In den folgenden Nächten getraute sich das Licht immer weiter, bis es endlich sogar in sein Gemach kam. Da dieses dem Knecht merkwürdig schien und er schon allerhand über die Burggeister gehört hatte, vertraute er sein nächtliches Erlebnis dem alten Bauern des Hofes an. Dieser nun gab ihm den Rat, das Licht, wenn es wieder komme, anzusprechen, nachdem es ja ein „Heller“ sei. Man hatte seinerzeit den Glauben, dass man die „Schwarzen“ vorbeigehen lassen müsse, da es dunkle Teufelsgeister seien, einen „Hellen“ aber ansprechen dürfe. Eine weiße, lichte Gestalt, eine helle Form oder ein Licht konnte man ohne Bangen ansprechen.

So tat es auch der Knecht. Als in der folgenden Nacht wiederum das Licht erschien, durch das Fenster schwebte und vor seinem Bett stehen blieb, sprach der beherzte Knecht das Geisteslicht so an, wie es ihn der Alte gelehrt hatte: „Alle guten Geister loben Gott, den Herrn!“ Mit zaghaft leiser Frauenstimme antwortete es: „Ich auch!“ Das Licht wuchs und wurde größer, bis es sich zu einer lichten Frauengestalt ausgedehnt hatte. Vom Knecht nach dem Anliegen gefragt, wisperte das Burgfräulein, denn niemand anderes war es: „Mein Vater war ehemals Herr der Wildenburg. Einst zog er in den Krieg und vertraute mir den kostbaren Schatz an, den wir unser eigen nannten. Doch bald kamen Feinde voller Neid und Raubsucht. Da vergrub ich im dunklen Gewölbe des Kellers die Kostbarkeiten.

Da ich das Versteck nicht verraten wollte, ermordeten mich die wilden Männer. Nun muss ich ruhelos im Grabe sein und auf ein Sonntagskind warten, das den Schatz hebt und mich damit erlöst. Habe Mitleid mit mir und folge mir! Ich führe dich sicher zur Burg und bringe dich wohlbehalten wieder zurück. Nur eines musst du mir versprechen: Rede keine einzige Silbe, sonst bin ich verloren und muss weiter umgehen! Fürchte dich nicht vor den gruseligen dunklen Gestalten, denen wir begegnen werden; es geschieht dir nichts! Schauerliche Männer ohne Kopf werden dir entgegen laufen, Reiter, die rücklings zu Pferde sitzen werden dich fragen. Im Burghof stehen zwei Reihen scharrender, wild aufschlagender Pferde. Gehe getrost hindurch, sie tun dir keinen Schaden! Endlich aber im Keller siehst du eine große, eisenbeschlagene Kiste stehen. Diese Truhe musst du ohne Furcht und Zagen und ohne ein Wort zu sprechen öffnen. Erschrick nicht, wenn du den Schlüssel zur Schatzkiste im feurigen Munde eines großen schwarzen Hundes siehst, der auf dem Deckel der Truhe liegt und knurrt. Greif nur beherzt zu, entreiße dem Bösen den Schlüssel und all das Gold soll dein reichlicher Lohn sein, wenn du mich erlösen wirst.“

Der Knecht sagte seine Hilfe zu und kleidete sich an. Niemals zuvor war er so schnell in seiner Hose und noch nie war er so rasch aus dem Haus geeilt.

Es kam so, wie das weiße Fräulein gesagt hatte. Schauer rieselte dem Knecht über den Rücken, als er die finsteren Männer sah, die ihm begegneten. Kopflose Reiter stürmten auf ihn zu und richteten mit dunklen Stimmen allerlei Fragen an ihn. Der Knecht aber schwieg und eilenden Fußes folgte er dem guten Geiste durch das Heer der finsteren Gestalten, wagte sich mutig und ohne Angst durch die Reihen der schlagenden, ungeduldigen Pferde und trat in die rote Halle des Kellers ein. Feuerschein erfüllte das Gewölbe. Als sich sein Auge an das eigenartige Licht gewöhnt und er den Feuerrachen des Hundes als Lichtquelle der Geisterbeleuchtung erkannt hatte, schritt er, die Zähne aufeinander gebissen, auf diesen zu, hob die Hand und griff nach dem Schlüssel. Da glotzte ihn das schwarze Tier mit fürchterlichen Blicken an und er ließ vor Schreck die Hand sinken, schlug ein Kreuzzeichen und keuchte schweißtriefend: „Jesus, Maria und Josef, steh mir bei, ich kann nicht mehr!“

Ein wuchtiger Schlag erfüllte daraufhin den Raum mit Donnergetöse. Ein Schlund tat sich auf und verschluckte Geldtruhe und Hund. Verschwunden war der rote Schein, nur das kleine weiße Licht erhellte spärlich das gähnende Dunkel und in der dumpfen Luft weinte eine weiche Frauenstimme in tiefem Schmerz: „Was hast du getan! Nun bin ich verdammt, weiterhin nachts die zerfallenen Mauern zu umschweben. Komm, ich will dich heim geleiten wie ich versprach.“

Im Hofe scharrten nun keine Pferde mehr. Stille lag in dem Gemäuer. Hoch oben in dem Turm raunte leise in den Tannen ein kühler Wind. Die weiße Gestalt hielt inne, deutete nach oben und sprach: „Nun muss ich weiterhin auf meine Erlösung warten, bis man einst aus diesen beiden Tannen, die auf dem hohen Turm wachsen, Bretter schneiden wird, um daraus eine Wiege zu fertigen. Erst der Knabe, der darinnen ins Leben hineinwächst, wird eines Tages kommen, um mich zu erlösen und den Schatz zu heben.“ Dann verschwand auch das Licht des Burgfräuleins und der Knecht schritt alleine heimwärts. Das Licht aber wurde seitdem in Preunschen nie mehr gesehen.

Noch lange Zeit standen auf dem Bergfried der Wildenburg, zwischen mächtigen Quadersteinen herausgewachsen, die beiden Tannen von beträchtlicher Dicke. Diese wurden vor über 100 Jahren gefällt. Preunschener Holzhauer, die damals dabei waren, erzählten, die Rinde sei mit Sprüchen und Gedenkzeichen froher Wanderer ganz bedeckt gewesen. In der Walkmühle seien sie gesägt worden. Aus den Brettern wurde tatsächlich eine Wiege angefertigt, die in den Besitz der Familie Spoerer in Amorbach kam. Darauf steht geschrieben:

Im Wald versteckt, auf einsamer Höh’
die Trümmer der Wildenburg ragen.
Dort hört man die Burgfrau ihr tiefes Weh
dem nächtlichen Wanderer klagen.

Sie klagt um ihr Glück, das vermauerte Kind,
um die Helden, die einst hier gefallen.
So irrt sie umher – leis stöhnet der Wind
in den öden, gespenstigen Hallen.

Ihre Ruh ist dahin und sie kehret nicht ehr,
bis des Turmes schwankende Tannen
als Wiegenbretter, gleich schützender Wehr,
ein Knäblein sorglich umspannen.

Und berufen ist dieser Knabe als Mann
der Burgfrau die Ruhe zu geben,
die zum Dank dafür ihn im nächtlichen Tann
den versunkenen Schatz lässt heben.

 

 

 

Quelle: Springer, Bernhard (2016), Mönche, Geister, Spukgestalten, Sonderveröffentlichung 3

Bild: Novalee Hofmann (6. Klasse)

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