Als die Säkularisation 1803 der über tausendjährigen Geschichte des ehrwürdigen Benediktinerklosters ein Ende setze, wurde das alte Marienbild, welches man schon so lange in der Abteikirche verehrte, der katholischen Pfarrei übergeben. Der Fürst zu Leiningen als neuer Besitzer der Klosterkirche war nämlich Lutheraner und hatte in seinem Glauben keine Verwendung für die Marienstatue.
So suchte der Stadtpfarrer Bauer einen würdigen Platz für das wertvolle Gnadenbild und entschied sich für die Nische auf dem nördlichen Seitenaltar der Pfarrkirche. Der Mesner und der Kirchenpfleger wurden schließlich beauftragt, die Figur aus der nahe gelegenen Abteikirche zu holen und zu ihrem neuen Standort zu bringen. Recht behutsam und mit großer Ehrfurcht gingen sie ans Werk und stellten die Himmelskönigin an den vorgesehenen Platz.
Wie groß war die Verwunderung am nächsten Morgen, als der Küster vor der Frühmesse die neue Errungenschaft betrachten wollte: Die Nische war leer! Aufgeregt wurde überlegt, ob ein Dieb des Nachts die wertvolle Figur entwendet haben könne, doch alsbald kam die Nachricht, dass die Statue wieder in der Abteikirche auf ihrem alten Platz stünde. Also machte der Mesner sich wieder auf den Weg und holte die Madonna erneut in die Stadtpfarrkirche. Als sie am nächsten Morgen wiederum auf rätselhafte Weise in die Klosterkirche zurückgekehrt war und sich das Unerklärliche ein drittes Mal abgespielt hatte, erkannten alle, dass höhere Mächte mit diesem Tun nicht einverstanden waren.
Am nächsten Sonntag holte folglich der Pfarrer mit einer großen Schar Ministranten in einer feierlichen Prozession das Bild in der Abteikirche ab und unter Gebeten und Gesängen der Gläubigen wurde die Muttergottes würdevoll an ihren neuen Platz gebracht.
Seit diesem Tage steht das altehrwürdige Gnadenbild in der Stadtpfarrkirche.
Quelle: Springer, Bernhard (2016), Mönche, Geister, Spukgestalten, Sonderveröffentlichung 3
Bild: Lisa Berninger (Klasse VK 2 - 11. Jahrgangsstufe)
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